Erinnern ist wichtig; die Auseinandersetzung mit Erinnerung ist aber auch konfliktbehaftet. Weil die Konstruktionen der Vergangenheit ständig neu geschrieben werden, ist auch permanent umkämpft, welche Vorstellungen Einzug in die Basiserzählung halten und damit zum Selbstverständnis einer Gesellschaft beitragen. Drei Beispiele zeigen, wie konfliktreich Erinnerungspraxis sein kann.
Konfliktpotenzial – drei Beispiele
2006 gingen Angehörige von neun Ermordeten auf die Straße. „Kein 10. Opfer!” forderten sie bei diesen Demonstrationen in Dortmund und Kassel. Seit 2000 wurden neun Menschen mit Migrationsgeschichte mit immer derselben Waffe ermordet – trotz der Hinweise von Betroffenen zogen die Ermittlungsbehörden Rassismus und Rechtsextremismus als Mordmotiv aber nicht in Betracht. Stattdessen beschuldigte man die Ermordeten und ihre Angehörigen, organisierte Kriminalität und Drogengeschäfte seien Motive für die Taten gewesen. Erst 2011 wurden mit der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen Netzwerks NSU die wahren Täter:innen bekannt.
Ein anderes Beispiel: Bei einem rassistischen Brandanschlag in Solingen am 29. Mai 1993 sterben fünf Menschen:
- Gürsün İnce (27 Jahre alt)
- Hatice Genç (18 Jahre alt)
- Gülüstan Öztürk (12 Jahre alt)
- Hülya Genç (9 Jahre alt)
- Saime Genç (4 Jahre alt)
Die Stadt versprach den Betroffenen ein Mahnmal im Zentrum von Solingen. Gebaut wurde die Gedenkstätte dann aber nicht dort, sondern weiter außerhalb. Die Erinnerung an rechte Gewalt in der Stadt wurde so auch symbolisch an den Rand gedrängt.
Ein weiteres Beispiel findet sich in Rostock: Zum 25. Jahrestag des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen gab die Stadt die Errichtung eines Mahnmals in Auftrag. Die Künstlergruppe SCHAUM adressierte mit fünf Stelen an verschiedenen Orten der Stadt die Rolle von „Politik“, „Selbstjustiz“, „Staatsgewalt“, „Medien“ und „Gesellschaft“. Die Perspektive der Betroffenen, die von diesen Instanzen attackiert oder im Stich gelassen worden waren, wurde dabei schlicht ‚vergessen‘. Erst ein Jahr nach der Enthüllung entstand eine 6. Stele zum Thema „Empathie“ mit den Betroffenen.
Konflikte und Kontroversen
Die drei Beispiele zeigen die Probleme der Unsichtbarmachung von Gewalttaten aufgrund rassistischer Vorurteile, aber auch die konfliktbehaftete Dynamik des Erinnerns und Vergessens in der Praxis. Von Konfliktpotenzial berichteten auch die Teilnehmenden der Workshops: