Doing Memory und Demokratie

Rechte Gewalt ‚betrifft‘ nicht nur jene, die aufgrund rechter Ideologeme wie zum Beispiel ‚Rasse‘ attackiert werden, sondern die Gesellschaft als Ganzes: Jeder Anschlag ist immer auch ein Angriff auf die Demokratie, da das ‚Recht des Stärkeren‘ an die Stelle demokratischer Prozesse und Strukturen tritt. Doing Memory an rechte Gewalt dient auch dazu, diesen Umstand im Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft zu halten.

Das sagen die Workshop-Teilnehmenden:

Gewalt ist in der Weltanschauung der extremen Rechten ein selbstverständlicher Bestandteil. Leben verstehen sie als immerwährenden Kampf – und auf diesen müsse man sich vorbereiten. Daher kommen auch die Vorliebe für das Militärische und Waffen – und die Ablehnung von Methoden des friedlichen Konflikt-Austrags.

Kollektives Erinnern auf Grundlage einer Basiserzählung

Demokratie, gleiches Recht für alle, Menschenrechte – diese Werte und Prinzipien reklamiert die Bundesrepublik Deutschland für sich selbst. Die politische Kultur einer Gesellschaft lässt sich durch das Konzept der ‚Basiserzählung‘ besser verstehen:

Die Basiserzählung dient als Grundlage und Bezugspunkt für die sich ständig wandelnden Vorstellungen über die Vergangenheit. Damit enthält sie die vorherrschenden und legitimierten Konstruktionen der Vergangenheit. Dadurch trägt sie maßgeblich zum Selbstverständnis und zur Selbstwahrnehmung der Gesellschaft bei.

Kernelement der Basiserzählung in Deutschland ist die Geschichte des Nationalsozialismus: Die Bundesrepublik nahm für sich eine ‚erfolgreiche‘ Aufarbeitung in Anspruch, die DDR definierte sich als antifaschistischer Staat. Nach der Vereinigung der beiden Staaten überrollte aber trotzdem eine Welle rassistischer Gewalt das Land und in der Politik debattierte man über die Einschränkung des Asylrechts.

Die Basiserzählung der beiden deutschen Staaten verlegte Rassismus entweder in die Vergangenheit (vor allem in den Nationalsozialismus) oder verortete ihn außerhalb des eigenen Nationalstaats. Rassistische und antisemitische Gewalt wurde entweder entpolitisiert oder als krankhaft fehlgeleitet eingeordnet – sodass keine Auseinandersetzung mit der Kontinuität rassistischer Strukturen und Denkformen stattfand. Die Erfahrungen der Betroffenen blieben unberücksichtigt.

Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten führte zu einem Prozess des institutionellen Vergessens: Dabei wurden institutionell verankerte Lehren aus dem Nationalsozialismus wie der Artikel 16 GG („Politisch Verfolgte genießen Asyl“) in ihrer Bedeutung relativiert und zunehmend in Frage gestellt, um sie schließlich – wie im Anschluss an das rassistische Pogrom in Rostock-Lichtenhagen Ende August 1992 – substantiell zurücknehmen zu können.

Mehr zum Thema?

Thomas, Tanja/Virchow, Fabian (2018): Praxen der Erinnerung als Kämpfe um Anerkennung. Zu Bedingungen einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit rechter Gewalt. In: Tina Dürr/Reiner Becker (Hrsg.): Leerstelle Rassismus? Analysen und Handlungsmöglichkeiten nach dem NSU. Frankfurt/M.: Wochenschau: 156-168.