Verdrängt und ungehört
Heute ist bekannt: Das rechtsterroristische Netzwerk Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) hat über Jahre hinweg Menschen aus rassistischen Motiven ermordet. Viele kennen die Namen des so genannten ‚NSU-Trios‘. Aber die wenigsten kennen die Namen der Ermordeten:
- Enver Şimşek (38 Jahre alt) – ermordet am 9. September 2000 in Nürnberg
- Abdurrahim Özüdoğru (49 Jahre alt) – ermordet am 13. Juni 2001 in Nürnberg
- Süleyman Taşköprü (31 Jahre alt) – ermordet am 27. Juni 2001 in Hamburg
- Habil Kılıç (38 Jahre alt) – ermordet am 29. August 2001 in München
- Mehmet Turgut (25 Jahre alt) – ermordet am 25. Februar 2004 in Rostock
- İsmail Yaşar (50 Jahre alt) – ermordet am 9. Juni 2005 in Nürnberg
- Theodoros Boulgarides (41 Jahre alt) – ermordet am 15. Juni 2005 in München
- Mehmet Kubaşık (39 Jahre alt) – ermordet am 4. April 2006 in Dortmund
- Halit Yozgat (21 Jahre alt) – ermordet am 6. April 2006 in Kassel
Die Perspektive der Betroffenen und Angehörigen der Ermordeten und ihr Leid wurde in der Vergangenheit nicht nur dann ausgeblendet, wenn die Tätermotive unklar waren.
Bei dem Mordanschlag in Mölln in der Nacht des 23. November 1992 starben in den Flammen des brennenden Hauses:
- Bahide Arslan (51 Jahre alt)
- Ayşe Yılmaz (14 Jahre alt)
- Yeliz Arslan (10 Jahre alt)
Danach erreichten hunderte Briefe mit Solidaritäts- und Beileidsbekundungen die Stadt – nicht aber die Betroffenen. Erst 2019 erfuhr Ibrahim Arslan davon und forderte eine Übergabe. Auch bei den Gedenkveranstaltungen durften sich die Familienangehörigen nicht aktiv beteiligen. Die Stadt übernahm die Organisation, die Betroffenen sprechen zu lassen wurde abgelehnt. Darüber entstand eine eigens von den Betroffenen initiierte Gedenkfeier: „Die Möllner Rede im Exil“. Nicht in Mölln, sondern in jährlich wechselnden deutschen Städten.
Das Beispiel zeigt, wie sich Gedenken in Deutschland oft entwickelt: Die weiße Mehrheitsgesellschaft schenkt den Betroffenen häufig kein Gehör. Daher entstehen parallel oft von Betroffenen initiierte und zivilgesellschaftlich getragene Netzwerke eines solidarischen Doing Memory an rechte Gewalt.
Zuhören
Deutsche Erinnerungskultur muss lernen zuzuhören und auch die Stimmen der Betroffenen hörbar machen. Über die Perspektive der Betroffenen haben auch die Teilnehmenden der Workshops nachgedacht.