Rechte Gewalt in Europa

Was ist Rechtsextremismus?

Unter ‚rechtsextremem Gedankengut‘ können wir alle uns etwas vorstellen – wo fängt es aber genau an? Diese Frage zu beantworten ist gar nicht so leicht. Aus wissenschaftlicher Perspektive lassen sich darunter alle Einstellungen und Verhaltensweisen vereinen, die von einer Ungleichheit der Menschen aufgrund von ‚Rasse‘ oder Ethnie ausgehen. Rechtsextremismus lehnt damit auch das Menschenrecht der Gleichheit und eine plurale Gesellschaft ab. Die Demokratie und ihre Werte werden abgelehnt, der Einzelne soll in dieser Ideologie der Gemeinschaft und dem Staatswillen untergeordnet sein.

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Jaschke, Hans-Gerd (2001): Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit: Begriffe, Positionen, Praxisfelder. Wiesbaden, S.30

Zahlen und Fakten

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs haben rechtsmotivierte Täter:innen in Deutschland mehr als 300 Menschen aus rassistischen, antifeministischen, sozial-darwinistischen, homophoben und antisemitischen Gründen ermordet. Einige in der DDR, viele in der alten Bundesrepublik, die meisten nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten.

300+

2.639

Rechte Gewalt in Deutschland ist alltäglich: Besonders in den frühen 1990er Jahren und Mitte der 2010er eskalierte die Gewalt-Politik. So dokumentierte man 1992 2.639 Fälle rechter Gewalt, 2015 waren es 1.698 Fälle. Die tatsächlichen Zahlen sind aufgrund der beträchtlichen Dunkelziffer, also bei der Polizei nicht angezeigte Gewalttaten, noch höher. Angriffe und nächtliche Brandanschläge richten sich vor allem gegen Geflüchtete und Migrant:innen. Immer häufiger werden auch Politiker:innen, die für eine plurale Gesellschaft eintreten, Ziele rechter Angriffe.

Im Frühjahr 2020 waren 481 Neonazis zur Fahndung ausgeschrieben (vgl. Bundestagsdrucksache 19/22127). Seit Jahren bewegt sich die Zahl der Rechtsextremist:innen, die per Haftbefehl gesucht werden, im höheren dreistelligen Bereich. Von November 2012 bis September 2017 stieg die Zahl von 266 auf 501 an. Gründe für die Haftbefehle sind politisch motivierte Delikte, aber vor allem Gewalt-Delikte. Viele der gesuchten Nazis sind seit mehreren Jahren untergetaucht – etliche halten sich im Ausland auf.

481


Rechte Gewalt in Deutschland

Nach dem Krieg

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs musste sich die extreme Rechte zunächst zurückhalten; doch bald entstanden wieder rechtsextreme Gruppen und Parteien. Seit den späten 1960ern bildeten sich daraus auch terroristische Strukturen. Diese richteten sich in den 60ern und 70ern vor allem gegen die Linke in der alten Bundesrepublik, Juden und die Erinnerung an den Holocaust. 1980 war ein Hochjahr rechten Terrors: die rassistischen Anschläge der ‚Deutschen Aktionsgruppen‘, der antisemitische Mord am Erlanger Rabbiner Shlomo Levin und Frida Poeschke, das Münchner Oktoberfest-Attentat. Manche Morde begriff man aber lange nicht als rechte Gewalt.

Eskalation in den 1990ern

Nach rechtsterroristischen Akten in den 1980ern brachte die Vereinigung der beiden deutschen Staaten eine Welle rassistischer Gewalt mit sich. Angestachelt durch Falschinformationen über Kriminalität und Asyl-Missbrauch nahm die Befürchtung vor dem Zusammenbruch des Sozialwesens zu. Rechte Gewalt eskalierte zum Massenphänomen: Einige ihrer Symbole wurden Städte-Namen wie Solingen, Hoyerswerda, Mölln und Rostock-Lichtenhagen.

Nach dem Millennium

In den 2000ern verkannten die Ermittlungsbehörden den rechtsterroristischen Hintergrund der Morde des NSU – obwohl die Betroffenen der Anschläge schon früh auf mögliche rechtsterroristische Motive der Täter:innen hingewiesen hatten und bei einer Demonstration forderten: „Kein 10. Opfer!“. Erst nachdem der NSU am 04. November 2011 als rechtterroristische Gruppe aufflog, mussten Staat und Polizei eingestehen, dass sie die Betroffenen nicht ernst genommen hatten.

Die neuen Rechten

Die Angst vor einer behaupteten Islamisierung und ‚Überfremdung‘ löste ab 2014 eine erneute Welle rechter Gewalt aus – vor allem gegen geflüchtete Menschen. Extrem rechte Vereinigungen und Parteien wie PEGIDA und AfD etablierten sich. Die Enttarnung von rechtsterroristischen Gruppen legte in manchen Fällen eine Beteiligung von Mitgliedern der Polizei und Bundeswehr bei der Vorbereitung rechter Gewaltakte offen. In Halle verhinderten die Schutzmaßnahmen der jüdischen Gemeinde einen Massenmord; in Hanau tötete ein Rechtsterrorist zehn Menschen und sich selbst.

Mehr zum Thema?

Virchow, Fabian: Zur Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 49-50/2019, S. 15-19.

Benz, Angelika (2016): Stationen bürgerlicher Gewalt. Von Rostock-Lichtenhagen bis Clausnitz. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Fremden Feinde und Wut Bürger. Verliert die demokratische Gesellschaft ihre Mitte? Berlin: Metropol, 69-97.


Rechte Gewalt in Griechenland, Norwegen und Großbritannien

Griechenland

Die Neonazi-Partei ‚Goldene Morgenröte‘ organisierte in den letzten Jahren in Griechenland systematisch Überfälle auf Geflüchtete und Zugewanderte sowie Mitglieder linker Organisationen. Erst der Mord an dem Hip-Hop Sänger Pavlos Fyssas im September 2013 führte zu einer breiteren Wahrnehmung der rechten Gefahr. 2020 wurde die ‚Goldene Morgenröte‘ als kriminelle Organisation verurteilt. Allerdings gibt es weiterhin rassistische Diskriminierung und Gewalt, unter anderem in Form systematischen Terrors gegen Geflüchtete, die auf griechischen Inseln in Lagern zusammengepfercht sind.

Norwegen

Am 22. Juli 2011 brachte Anders Behring Breivik im Regierungsviertel eine Bombe zur Explosion und tötete auf der Insel Utøya 69 Teilnehmer:innen eines Sommerlagers einer Jugendorganisation der sozialdemokratischen Partei. In einem umfassenden Manifest offenbarte der Täter sein rassistisches, antisemitisches und antifeministisches Weltbild. Die Tat erschütterte das Selbstbild der norwegischen Gesellschaft, die sich als tolerante Gemeinschaft begreift. Allerdings hatte bereits seit Ende der 1990er Jahre die migrationsfeindliche ‚Fortschrittspartei‘ zweistellige Wahlergebnisse erzielt und war zeitweise an der Regierung beteiligt. Bekanntheit erlangte auch der norwegische Blogger ‚Fjordman‘ durch seinen antimuslimischen Rassismus. Auch nach Breiviks Verurteilung kommt es weiter zu rechter Gewalt: am 10. August 2019, dem Vorabend des islamischen Opferfestes, griff ein Rechtsextremist eine Moschee in Bærum an. Obwohl er mit mehreren Schusswaffen bewaffnet war, konnten ihn Gläubige überwältigen.

Großbritannien

Inzwischen schätzen auch Sicherheitsbehörden rechte Gewalt – ob im Alltag oder in Form terroristischer Angriffe – als große Bedrohung ein. Inbesondere die nationalistische Kampagne für den Brexit und die antimuslimische Berichterstattung vieler Massenmedien haben zu einem erheblichen Anstieg der Hasskriminalität beigetragen. Diese ist meist rassistisch motiviert. Nach dem rechtsextremen Mord an der britischen Politikerin Jo Cox Mitte Juni 2016 sind zahlreiche weitere rechte Gewalt-Komplotte aufgedeckt worden.